Bei mir gegenüber wohnen, wie fast überall in diesen Zeiten, Fans der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Allerdings teilt sich diese nur scheinbare amorphe Jubelmasse in mental durchaus unterschiedliche Lager. Zwei große Untergruppen kann man im Haus gegenüber beobachten, was sehr lustig ist.

Vertreter der Gruppe eins wohnen im zweiten Stock, also direkt auf meiner Augenhöhe. Nennen wir sie die Schland-Gruppe. Wenn Pause ist bei einem der wie immer sieben WM-Spiele einer deutschen Elf, stehen fünf oder sechs Kreativ-Hipster in mattbunten Strickklamotten auf dem Balkon, alle Anfang 30, mit neumodischen Kurzvollbärten, gerne auch schwarzer Hornbrille, auf jeden Fall aber mit Corona-Bier in der Hand. Ums Handgelenk oder den Hals sind schwarz-rot-geile Schlandketten gelegt. Ab und an huschen auch ein paar Frauen mit schwarz-rot-goldener Wangenbemalung dazu. Es sind die klassischen Event-Fans, wie es sie seit der WM 2002 so viele gibt, als Johannes B. Kerner am Potsdamer Platz dem hysterisierten Studiopublikum einheizte. Schland-Fans sind eigentlich nicht wirklich Fußballfans, sie interessiert nur das große Event, das sich am deutlichsten im Public-Viewing realisiert - eine Erfindung, die bei der WM 2006 zur Institution wurde. Schland-Fans ist es auch egal, gegen welchen Gegner gespielt wird, Hauptsache, es gibt Hurra-Fußball und hohe Siege. Sie nehmen eine mediale Stimmung auf und verstärken sie.

Anders der Typus im dritten Stock bei mir gegenüber, für den es keinen Namen gibt, weil es früher noch nicht üblich war, für nationale Pseudogefühle Namen zu erfinden. Dieser Typus geht nicht zum Public Viewing, tritt auch eher nicht in großen Massen auf. Bei mir gegenüber sind es zwei Männer Mitte 40, Zigarettenraucher mit mittelgroßen Bierbäuchen und Deutschland-Trikots, die noch aus den 90er Jahren stammen, Trikots ohne schwarz-rot-goldene Farben übrigens. Dieser sehr klassische Fantypus pfeift auf Hurrafußball - er will nur, dass "wir" siegen. Am besten gegen "Erzrivalen" wie Holland oder England, und egal, mit welchen Mitteln.

Typus zwei schien nach diversen Schland-WMs und -EMs eigentlich fast ausgestorben. Durch das aktuelle Spiel der deutschen Mannschaft wird er anscheinend wieder lebendig.

nationalistischen Bierbauchträger sympathischer als die Hipster (nicht nur, weil ich auch Bierbauchträger bin ;)) Obwohl auch nicht übermäßig sympathisch - nur sympathischER.